Kalt, Warm, Kälter.

kalt.

Rückzug: Ein arbeitsloser Held beginnt zu frösteln beim Auffinden verlorener Kleidungsstücke am Wegesrand: Kalt! Stammen die Kleidungsstücke von jemandem, dem es zu warm war? Erzählt das lückenhafte Bild von einer verklungenen Hochzeit? Wessen letztes Hemd geht auf diese Weise verloren? Die lockere Verbindung zwischen den gespannten Fragen schließt eine pauschale Antwort aus und lässt dem Drama zum zweiten Mal seinen Lauf: Niemand weiß etwas von einem Temperatursturz, der zwischen Jawort und Kleiderverlust stattfand. Doch warum, so fragt sich der Topfschläger, muss das Thermometer im Schatten hängen? Warum friere ich beim Anblick fremder Kleidungsstücke im Feld? Wer so fragt, versucht den Flügel des Ventilators durch eine schnelle Augenbewegung in seiner Drehrichtung zu erkennen. Der Ausgangspunkt seiner Bewegung kann aber nicht durch ein Gesetz erfasst werden, vor dessen Wirkung dieser Ausgangspunkt ein Zurückweichen ist. Garderobe drinnen oder draußen! Wetterumschwung jetzt oder nie! Schaltet das wirbelnde Ding aus, dann seht ihr, was ihr sehen wollt! Nur das angebliche Nichts zwischen den Flügeln sei es, das die Widerstände verschluckt, mittels deren der Meteorologe seine Daten erfasst, sodass er schließlich glaubt, es sei kalt, weil er sich selbst nicht bewegt. Aufbruch heißt die Losung, egal wohin!


warm.

Wind im Segel: Wo ein Wort über die Grenze seiner Bedeutung fehlt – keine Brise spannt das Tuch –, da müssen Taten über die Flaute hinweghelfen, die das Meer zum Spiegel macht. Es lässt sich nichts umkehren, was einmal geschehen ist, wenn man sich auf die dumme Regel eingelassen hat, dass die Aktivität des Helden vor allem eines bedeutet: Warm! Ab jetzt sollte man von dem einmal eingeschlagenen Weg nicht mehr abirren, egal wer warum zuvor seine Kleider liegen gelassen hat. Wo die Sträflinge ihres Reichtums nicht mehr ausbrechen können, weil das Gefängnis überall ist, erscheint die Axt im Boot als das letzte verbindliche Zeichen einer Gesellschaft, die ihr zentrifugales Gewissen gegen den zu lichtenden Anker beschwert. An der ungelichteten Stelle aber, wo sich der Gesichtskreis nicht mehr schließt, weil man sich selbst im Weg steht (falsche Polarisierung, notwendiges Versehen!), dringt ein Blaulicht durch die Dämmerung. Ob die Stationen Kalt und Warm eine Phase des Zweifelns beenden oder ob die Luftbewegungen des elektronischen Fächers ein optisches Signal erzeugen, das einen idealen Raum erhellt – Eurasiens Einheit bleibt eine fruchtbare Gefährdung. An anderen Ufern wird kein Festland mehr erreicht! Bis endlich aus dem Temperaturunterschied der Gegensatz von Kalt und Warm entsteht, ist der Finger, der die Windrichtung zu prüfen hat, längst eingeschlafen. Der Aufbruch um des Aufbruchs willen aber ist gelungen.


kälter.

Dunkelziffer: Weder Rechenfehler noch Wunder haben sich ereignet, sondern nur einige variable Faktoren, die immer schon variabel waren, treiben ihr übliches Spiel. Was hat sich verändert, seit der erste Schritt irgendwohin die bloße Fehleinschätzung seiner Möglichkeiten war – und seit durch ein erst einzuführendes Maß ein polarisierter Bereich zur Grenze erklärt wurde? Der Held hat sich unwissentlich von seiner Feuerstelle entfernt. Die Windmaschine verlangsamt sich, steht einen Moment lang still und beginnt dann, sich in umgekehrter Richtung zu drehen. Ob der Stillstand, der den Richtungswechsel anzeigt, im Zwielicht eine unendliche Zeitspanne umfasst, lässt sich nur im Nachhinein entscheiden, d. h. nach einer Wartefrist auf Teufel komm raus. Die Dinge aber, die manche Wegbereiter vertriebener Geister auf den Flügeln des Ventilators abgestellt hatten, werden jetzt durch den Raum geschleudert: Ladegeräte, Vierkantschlüssel, Falschgeld und Seife. Staub wirbelt auf und nimmt dem Helden die Sicht. Er befindet sich für einen Augenblick in jener gleichsam verdichteten Leere, die nur in der Notrufzentrale die neue Strömung genannt wird: Kälter! Die ungeordnete Entfernung aus dem heißen Bereich lässt die Trefferquote des Fingers im Ventilator systematisch über die Zahl steigen, die wir pro Schlag und Streiflichtfrequenz zählen. Man zieht sich wärmer an, um den Faden vor der Festlegung auf eine Wirklichkeit abzubeißen. Oder man zündet am nächsten Ufer ein neues Licht an, das die Schatten fallender Flügel vertreibt. Wer fragt jetzt noch nach den Kleidern im Feld? Auf wessen Rechnung geht das Drama zum x-ten Mal? Steckt hinter der Dunkelziffer tatsächlich eine exakte Zahl? Wer schiebt was aufs Wetter? Wenn sich der Held jetzt nicht beeilt, wird ihn ein kalter Regenguss bis auf die Haut durchnässen.


Halkyonische Tage, Köln 2013, S. 221