Demonstration einer Sonnenfinsternis vom November 1940 oder 1514 auf dem Planeten Erde

Weder im November 1940 noch im November 1514 hat nach zugänglicher Überlieferung eine Sonnenfinsternis stattgefunden. Weil dies aber für die bloße Demonstration des Phänomens Sonnenfinsternis keine Rolle spielt, mag es Zufall sein, daß die Demonstrationsmodelle ihre Schatten ausgerechnet auf die Himmelsfläche eines Bildes werfen, das an einen Flugzeugabsturz vom November 1940 in Bolivien erinnern soll.

Der Absturz der Juan del Valle, einer Ju 52 in bolivianischen Diensten, geschah unter nicht ganz zu klärenden Umständen in unwegsamem Gebiet. Das Wrack konnte erst über ein Jahr später gefunden werden. Weil wahrscheinlich die Treibstofftanks leergeflogen waren, fand keine Explosion statt, und einige Passagiere konnten sich noch aus dem Flugzeug schleppen, erlagen aber dann in menschenleerer Gegend ihren Verletzungen.

Man nimmt heute an, daß atmosphärische Turbulenzen zum Absturz der Maschine beitrugen, vielleicht gab es aber noch andere Gründe. Im Durcheinander der zu schnell aufeinander folgenden Momente konnten die mangelhaften Sichtverhältnisse auch die bloße Folge einer eingebildeten Sonnenfinsternis sein, –oder es handelte sich in Wahrheit um den Mantel des Piloten, der durch das offene Fenster ins Cockpit wehte und sein Gesicht einhüllte, so daß alles schwarz erschien. Der Abend ist ein dicker Vogel, –wäre dann ein denkbarer Satz des Piloten, der seine eigene Kleidung für etwas Lebendes hielt und den Inhalt eines Büstenhalters als geflügeltes Gebirge vor sich sah. Der Klang brechenden Glases konnte einhergehen mit der Wahrnehmung von Wärme, die eine Hand vor Augen ausstrahlte.

Es zeigt sich, daß mit zunehmender Annäherung ans Ereignis die Spekulation keine vorstellbare Beziehung unbeachtet lassen darf: Je zwangsläufiger die Begebenheiten aufeinander folgen, desto freier scheinen sich im entscheidenden Augenblick die Möglichkeiten ihrer Bedeutung zu entfalten. Es ist damit der Moment erreicht, in dem derjenige, der nach den zugehörigen Gründen und Wahrheiten fragt, zum Außenstehenden wird. Die bemerkte oder unbemerkte Sonnenfinsternis ist jetzt nur noch eine zufällige Verschiebung von Zeitpunkten mit räumlichen Auswirkungen.

So zufällig die Ereignisfolge auch zustandegekommen sein mag, der kurze Stillstand zwischen den Zeitpunkten reicht aus, um einen vorübergehenden Schatten plötzlich anzuhalten. Die Zeichen, die sich hierbei einschleichen können, mögen z.B. an das erinnern, was einmal Saturnische Nacht hieß: Der kinderfressende Saturn, als Chronos einst über das Zeitliche erhoben, wurde von seinem Sohn Jupiter entmachtet und darauf in eine Sphäre versetzt, in der die beschwerenden und zerstörenden Wirkungen der vergehenden Zeit herrschten. An die Vorstellung eines steinernen und verdunkelten Zeitalters wurde sodann eine Verbindung zum Charakter der Melancholie hergestellt, wie etwa bei Dürers bekanntem Stich von 1514. Im Bild des nur behelfsmäßig begründeten Flugzeugabsturzes kann die Melancolia mit schwarzem Gesicht als eine der fiktiven Überlebenden erkennbar sein. Neben ihr steht ein vermutlich leerer Benzinkanister, auf dem ein Schwan zu sehen ist. Der Schwan taucht in der Bildwelt der Saturnischen Nacht als Überwindungszeichen auf, z.B. bei William Blake: Die Verdunkelungen der Saturnischen Nacht und der Melancholie sollten das notwendige Durchgangsstadium einer neuen Aufhellung sein, die über Bisheriges hinauszugehen hat.

Schließlich aber zeigt sich, daß alle Versuche, dem Geschehenen im Nachhinein einen Zusammenhang zu geben, nur den Zweck haben, die tatsächliche Wurzellosigkeit und Unbestimmtheit eines Faktums zu verschleiern. Dieses Faktum sprengt in seiner Weise, erlebbar zu sein, auch das fernste und absurdeste Verhältnis, in das es gesetzt werden kann.


Texte ohne Verben, Köln 2002, S. 138