Offenes Grillhaus mit Ottogeschichte und Farbkarte
Das offene Grillhaus versucht modellhaft eine Funktion von Behausung, nämlich Wärmebildung, mit einem Lebensbedürfnis, nämlich der Essenszubereitung zu verbinden. Dabei entspricht die Größe des Architekturmodells etwa der Größe eines realen Familien– oder Gesellschaftsgrills, auf dem mindestens zwanzig verschiedene Fleischstücke gleichzeitig gegart werden können.
Verzichtet man allerdings auf die direkte Benutzung des Modells als Grill, und betrachtet man es als tatsächliches Modell eines größeren Gefüges (z.B. aufgrund des verwendeten brennbaren Materials), so rücken architektonische Probleme in den Vordergrund: Die Geschichte der Architektur zeigt uns, daß der Mensch mit zunehmender Kultivierungsstufe und hierdurch abnehmender äußerer Bedrohung es sich leisten konnte, immer offener zu bauen. So führte der Weg von der Höhle über die Festung und Burg zum unbefestigten Landhaus, und schließlich bis zur modernen Glasarchitektur, in der scheinbar keine Wand mehr den Weg ins Freie begrenzt. Das Freie soll jetzt nicht mehr als Gefahrenzone verstanden sein, sondern als das unbedingt zugängliche Feld alles Begehrenswerten.
Auf der Spitze dieser Entwicklung, wo die Fragen nach der Behausbarkeit von Architektur neu gestellt werden können (bis hin zur Frage nach den möglichen Bedingungen ihrer Überflüssigkeit), steht ein Gebäude ohne Wände, mit glühendem Boden und offenem Dachrost. Die beispielsweise traditionelle Schutzfunktion von Architektur löst sich in diesem Freiraum des überschrittenen Lebens in ein erinnerungsreiches Schattenspiel auf: Das Fleisch auf dem Dach wandert als Schatten dichter Wolken über den Boden, während die hängenden Fensterrahmen, Türstöcke, Glasscheiben und Beichtstuhlgitter sich frei im Wind bewegen.
Ein Bewohner namens Otto muß nicht ausgeschlossen sein. Um aber seine momentane Abwesenheit wettzumachen, kann sich ein hungriger Gast, als Betrachter des Ganzen verkleidet, dem realen Grill oder der modellhaften Architektur nähern. Er interessiert sich möglicherweise nicht für ein bloßes Schattenspiel, sondern er will das ganze Spektrum dessen erfassen, was er vor sich hat. Für ihn ist als Maßstab einer korrekten Wiedergabe der Realität die Farbkarte geschaffen, mittels derer bloße Stimmungen innerhalb des künstlichen Freiraumes beherrscht werden können, ohne daß man diesen Raum tatsächlich betreten müßte.
Texte ohne Verben, Köln 2002, S. 132