Fragen für den Katalog "PAPERWORLDS"
Aus: Katalog „Paperworlds“, Kinder- und Jugendzeichnungen zeitgenössischer Künstler, ME Collectors Room, Stiftung Olbricht, Berlin
Sylvia Dominique Volz — Hast Du als Kind gerne gezeichnet/gemalt? Woran erinnerst Du Dich?
Michael Kunze — Als eher untypisch. Als ich Anfang der 90er Jahre von der Kunstakademie kam, verfolgte ich einen Ansatz und eine Thematik, die ziemlich exakt das Gegenteil von allem zu sein schien, was damals möglich war. Alles, was in dieser Zeit (bis in die frühen 0er Jahre hinein!) nicht auf Sozio-Kultur, 70er Jahre-Revival und einen bestimmten Neue-Medien-Mix setzte, war schlicht und einfach verboten. Eine hermetisch anmutende Gegenständlichkeit im verteufelten Medium Malerei, Anklänge an Böcklin und De Chirico, und noch dazu Nietzsche-Lektüre, - damit wurde man einfach als nicht stubenrein vom Geschehen ausgeschlossen. Erst im Lauf der letzten 10 Jahre begann sich dann der Wind zu drehen, die Szene wurde heterogener und vielfältiger, der Mainstream bröckelte. Während ich noch für viele orthodoxe Modernisten der 90er als Freak galt, tauchten auch schon vereinzelt offenere Gemüter auf, die das postminimalistische und postkonzeptuelle Einerlei mit dem ewigen Zwang zur Pop-Kompatibilität zunehmend zum Gähnen brachte, - und die mit meinem scheinbar so anachronistisch texthaltigen Projekt bereits etwas anzufangen wussten. So ergaben sich - aufgrund eines permanent fehlenden "modischen" Aspektes - verhältnismäßig spät Kontakte zu größeren Sammlern, Galerien und Ausstellungshäusern.
SDV — Welches Deiner eigenen Bilder gefällt Dir persönlich am besten und warum?
MK — Das kann ich vor allem bei frühen Bildern überhaupt nicht sagen. Alles, was man später sagt, ist konstruierte Erinnerung, wahrscheinlich ein Missverständnis. Die Welt des Kindes ist eine helle, bunte und magische Fläche. Selbst die Nacht hat etwas Leuchtendes. Niemand kann da zu einem späteren Zeitpunkt mehr eindringen. Nur eines ist sicher: Auch der intensivste Filzstift und die farbigste Kreide waren nie bunt genug für das, was man eigentlich vor sich hatte.
SDV — Verbindest Du mit einem der Bilder eine bestimmte Anekdote/Geschichte? Welche?
MK — Es gab eine Zeit, in der ich – wie auf einem der Blätter zu sehen – ziemlich stark in die Science-Fiction-Welt eintauchte, insbesondere angespornt von den Perry-Rhodan-Comics, die es damals, um 1970 gab, die in einem sehr ausgeflippten, eigentlich psychedelisch und hippieartig inspirierten Zeichenstil (was ich als Kind überhaupt nicht bemerkte und mich deshalb auch nicht interessierte) erschienen. Was hier zählte, war nur eines: „Fremde Welten“, voller Dinge, die auf der Erde unmöglich wären, und eine Technik, mit der sich schlicht und einfach jede Grenze überschreiten lässt. Ein seltsames Mittelreich zwischen absoluter Hermetik und absoluter Offenheit.
SDV — Welchen ernsthaften Berufswunsch hattest Du als Jugendlicher? (Nachdem Du Schaffner, Feuerwehrmann, Baggerfahrer, Prinzessin, Ballerina, ... werden wolltest)
MK — Einen ernsthaften Berufswunsch hatte ich eigentlich überhaupt nie, bis heute nicht. Ich wollte nur möglichst ungehindert irgendwelchen Phantastereien nachgehen, und diese so wirklich wie möglich machen. Irgendeine merkwürdige Welt erfinden, die zwar vielleicht nicht existiert, aber trotzdem die einzig mögliche ist. Kein Traum! Und wenn der Traum, der uns alle so behindert, vorbei wäre, wollte ich natürlich Hypnotiseur werden, bis heute!
SDV — Inwiefern haben Deine Eltern/Lehrer Deine Kreativität aktiv gefördert?
MK — Da kann ich mich an keine speziellen Maßnahmen erinnern. Bei uns zuhause spielte vor allem Musik eine große Rolle. Andauernd und überall wurde musiziert. Und erst als es ans Instrumente-Lernen ging, in meinem Fall erst Blockflöte, dann Klavier, wurden fördernde Maßnahmen ergriffen, - nicht immer ganz nach dem eigenen Willen, versteht sich. Doch ein Kind sollte man sowieso nicht bei allem fragen, ob es das jetzt „wirklich“ will. Nicht nur für die Kinderzeit, sondern auch für spätere Zeiten gilt doch Folgendes: Was man will, ergibt sich gerade aus vielem, was man gerade nicht so will, - und dennoch macht. Auf diesem Gebiet machen Eltern heute viel falsch, weil man es für liberal und aufgeklärt hält, ein Kind wie einen souveränen kleinen Erwachsenen zu behandeln. Aber kein Kind will ein kleiner Erwachsener sein...
SDV — Was denkst Du beim Anblick Deiner eigenen Kinderwerke heute? (Bitte ausführlicher als „schön“, „super“ oder „genial“)
MK — Ich denke vor allem, dass alle Kinder dieses Alters tolle Dinge machen. Ob aus dem einen später ein Bankdirektor, aus dem anderen ein Möbelpacker und aus dem dritten ein Großkünstler wird, ist noch überhaupt nicht abzusehen (und ich finde auch nicht rückwirkend zu erschließen, obwohl es natürlich verlockend erscheint). Die Faktoren, die zu den Weichenstellungen des Lebens führen, kommen zu einem viel späteren Zeitpunkt. Da ist dann die Welt des Kindes längst ein geschlossenes Buch mit sieben Siegeln, fern und unzugänglich.
SDV — Sind Deine eigenen Kinder besonders kreativ, weil Kunst für sie selbstverständlich ist?
MK — Ich finde man kann solche Dinge nur bedingt steuern. Atmosphärisches spielt da eine größere Rolle. Mein 7-jähriger Sohn geht wiederum stärker in die musikalische Richtung, und soll dieses Jahr bereits ins Konservatorium kommen. Natürlich untertstütze ich das, doch ich habe immer das Gefühl, dass man das auch nicht zu stark machen sollte, um nicht den Geist der Opposition herauszufordern, der ja auch eine wichtige Rolle spielt in der Entwicklung eines jeden Menschen. Zu viel der Maßnahme erzeugt Gegenwehr, und daraus wird ja dann der Stoff der Generationenkonflikte! Natürlich gibt’s aber heute auch die chinesische Methode: 12 Stunden ans Klavier bei Wasser und Brot. Da kommt dann auf 1000 Psychowracks ein Superstar! Vielleicht trotzdem besser als immer nur Mittelmaß? Keine Wracks und keine Stars? Geht das überhaupt?
SDV — Lässt Du Dich durch die Zeichnungen Deiner Kinder inspirieren?
MK — Das käme mir nicht in den Sinn. Die frühe Moderne, in der solche Vorstellungen eine gewisse Rolle spielten beim Angriff auf eine „hochkulturelle“ Prägung von Kunst (um damit ein vermeintlich konsensbildendes „Bürgertum“ zu treffen, das aber in Wahrheit damals selbst schon proletarisch ausgehöhlt war), war hiermit auf dem Holzweg. Die Sehnsucht nach dem „Ursprünglichen“ und dem kleinsten gemeinsamen Nenner führt in dieser sentimentalischen Form immer zu Missverständnissen: Die äußerliche Nachahmung oder Nachempfindung einer Kinderwelt zeugt nur von Defiziten des Nachahmenden, der mit solchem Verhalten das Kindliche zum Infantilen degradiert. Das Kindliche ist einfach auf einer anderen Stufe des Bewusstseins komplex, und in keiner Weise „ursprünglicher“ als ein Gemälde von Caravaggio. Oberflächliche Analogien legen derartige Fehlschlüsse zwar nahe, doch die Geschichte schreitet leider nirgendwo vom Einfachen zum Komplizierten voran. Auf jeder Stufe ist Summe, Dichte und Verschränktheit der Faktoren dieselbe. Was zählt, sind die Angemessenheiten: Es gibt kein Zurück!